Lauter Widerstand: Immatrikulation im Gewandhaus wird zu Protest gegen AfD und Uni

Zwischenzeitlich droht ein Kippen der Veranstaltung: Bei der Immatrikulation im Gewandhaus protestieren Studierende energisch dagegen, dass die Universität Leipzig auch AfD-Mitglieder eingeladen hatte. Die Rektorin wird mehrmals unterbrochen.

Leipzig. Eva Inés Obergfell nimmt viele Anläufe. Doch immer wieder wird sie unterbrochen, muss innehalten. Am Mittwochnachmittag hat die Rektorin der Universität Leipzig einen schweren Stand bei der Immatrikulation zum Wintersemester. Denn zu einem beträchtlichen Teil ist die Feier im Gewandhaus eine politische Veranstaltung – weil Landtagsabgeordnete der AfD eingeladen waren.

„Das ist peinlich!“ und „Sie tun nichts dagegen!“: Kommentare und Kritik fliegen Obergfell in den ersten 30 Minuten aus den Rängen des voll besetzten Großen Saals entgegen und machen den Festakt für Erstsemester zu einem der außergewöhnlichsten in der langen Historie der Hochschule.

1000 Menschen am Mendebrunnen

Seinen Anfang hat der Protest draußen genommen, auf dem Augustusplatz. Aufgerufen von der Leipziger Gruppe des Sozialistisch-Demokratischen Studierendenverbandes (SDS), haben sich etwa 1000 Menschen am Mendebrunnen versammelt, um ihrer Empörung Luft zu machen.

Wie üblich hatte die Universität zur Feier unter anderem in Leipzig ansässige Mitglieder des Deutschen Bundestages und des Sächsischen Landtags ins Gewandhaus eingeladen – darunter von der AfD. Zu den Politikern gehören die Leipziger AfD-Landtagsmitglieder Roland Ulbrich, Tobias Keller, Alexander Wiesner, Holger Hentschel und Jörg Kühne, die dem rechten Flügel um den vom Verfassungsschutz beobachteten Björn Höcke nahestehen sollen.

„Es darf keine Normalität werden, dass Politiker mit faschistischer Gesinnung eingeladen werden“, kritisiert Marlen Borchardt vom SDS gegenüber der LVZ. „Wir sehen die Universität in einer besonderen Verantwortung.“

Im Vorfeld hatte die Uni eine Stellungnahme zur Debatte veröffentlicht. Die Gästeliste zu „einer der wichtigsten akademischen Festveranstaltungen an der Universität Leipzig“ werde ausschließlich anhand der genannten Ämter zusammengestellt, „die Parteizugehörigkeit spielt dabei keine Rolle“.

Die Einrichtung verweist auf die Verpflichtung zu parteipolitischer Neutralität, „steht dabei aber selbstverständlich für demokratische Grundwerte wie Toleranz, internationalen Austausch, Vielfalt und friedlichen Diskurs“. An dieser Verpflichtung entzünden sich die Gemüter – zuerst draußen in einer Demonstration, auch vor den Augen von Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD).

„Ja, zur Neutralität der Uni müssen wir stehen. Aber ich finde es toll, dass es die Kundgebung gegen rechts gibt“, sagt er. Eine halbe Stunde später beginnt die Feier im Musiktempel ganz anders als nach Protokoll-Plan.

Zwischenrufe ersticken Rede

Als Moderatorin Katja Rösener die Bühne der Rektorin überlässt, entfalten auf der Empore unterhalb der Orgel Studierende ein großes Tuch mit der Aufschrift „AfD raus aus der Uni“. Donnernder Applaus erfüllt den Saal. „Nazis-raus“-Rufe ertönen.

Über Minuten ersticken Zwischenrufe die Ansprache von Eva Inés Obergfell in ihrem Beginn. Sie betont ihre Zustimmung darüber, „dass Sie sich positionieren. Das ist Leipzig“. Ihre Rechtfertigung, dass die Uni keine Politik machen dürfe, geht im Widerspruch unter. Es droht, dass die Feier kippt.

Die Rektorin lädt Protestierende ein, auf der Bühne zu reden. Vier nehmen das Angebot an. „Leute, die Menschen in unseren Reihen diskriminieren und die Demokratie aushöhlen wollen, gehören nicht eingeladen“, sagt einer.

Obwohl Obergfell mehrfach Gesprächsbereitschaft zu einem anderen Zeitpunkt anbietet, wird sie erst nach einer knappen halben Stunde und ihrer Aufforderung angehört, dass diejenigen, die keine Lust mehr auf die Veranstaltung hätten, den Saal verlassen sollten. Letztlich siegt der Respekt gegenüber den Erstsemestern, denen die Feier gilt.

OBM Jung leidenschaftlich

Auch OBM Jung geht auf die Empörung ein – und baut mit einer leidenschaftlichen Rede eine Brücke zwischen den Prostierenden hin zur Rektorin. Er kritisiert die AfD scharf, weil viele in der Partei gegen Artikel 1 des Grundgesetzes zur unantastbaren Menschenwürde verstießen. Er spricht von seinem langen Kampf gegen Rassismus und Nazis sowie der Herausforderung, im Stadtrat gegenüber AfDlern die demokratischen Spielregeln einzuhalten.

„Wir alle haben Farbe zu bekennen und müssen viel lauter werden“, sagt der 65-Jährige. „Ich finde es klasse, dass tausend Menschen vor dem Gewandhaus protestieren und viele hier im Saal, in dem auch Leute aus dieser Partei sitzen.“ Jung bittet inständig darum, die Demokratie zu verteidigen – und damit auch die besagten Spielregeln, denen unter anderem Institutionen wie die Universität unterworfen seien. Langer Beifall.

Haltung beziehen später auch David Rennert und Janes Behr vom Studentinnen-Rat. „Wir waren kurz davor, aufzustehen und zu gehen, aber wir stehen in der Verantwortung für Euch“, sagt Behr.

Zwischenzeitlich fühlt sich der Nachmittag dann doch fast so an wie eine gängige Immatrikulationsfeier, beispielsweise bei der Musik des Universitätsorchesters unter Leitung von David Timm, beim Chorgesang und der Uni-Bigband. Aber auch hier artikuliert sich die Kritik. An Notenständern und Instrumenten kleben Statements gegen die AfD. Und Kabarettist Dietmar Wischmeyer ist in seiner Rede schon von Natur aus zuspitzend.

Nach weit mehr als zwei Stunden endet eine ungeahnt emotionale Feierstunde, die noch lange nachhallen dürfte. Nicht nur für Eva Inés Obergfell und die Studierenden.


Demo gegen AfD-Einladung zur Immatrikulationsfeier der Uni Leipzig

Etwa 1000 Menschen protestieren am Mittwoch auf dem Augustusplatz gegen die Einladung von Landtagsabgeordneten der AfD zur Immatrikulationsfeier der Universität Leipzig.

Leipzig. Demonstrierende haben sich am Mittwochnachmittag am Augustusplatz versammelt, um dagegen zu protestieren, dass Landtagsabgeordnete der AfD zur Immatrikulationsfeier der Universität Leipzig eingeladen wurden. Die Veranstaltung wurde vom Sozialistischen Demokratischen Studentenbund (SDS) organisiert, der darauf hinweist, dass die eingeladenen Abgeordneten dem Höcke-Flügel der AfD angehören sollen. Laut Beobachtungen befinden sich aktuell rund 1000 Menschen am Augustusplatz.

Zu Beginn der Veranstaltung hielten zwei Mitglieder des SDS Reden, in denen sie sich deutlich gegen die AfD positionierten: „Mit ihrer Einladung erweckt die Uni den Eindruck, Hass und Hetze seien eine normale Meinung und die AfD eine normale Partei.“

Die Universität Leipzig schrieb in einer Pressemitteilung am Dienstag, dass sie unter anderem Politiker und Politikerinnen des Sächsischen Landtags zur Immatrikulationsfeier eingeladen haben. „Die Einladungsliste wird ausschließlich anhand der […] Ämter zusammengestellt, die Parteizugehörigkeit spielt dabei keine Rolle“, heißt es in der Stellungnahme.